Geschichte des Ortsvereins

Eröffnungsnachweis vom 11.03.1907

1905 war das Gründungsjahr des SPD-Ortsvereins Dachau. Die Grundlage dafür war aber bereits vorher gelegt worden. Seit dem Beginn der Arbeiterbewegung war die Geschichte der Sozialdemokratischen Partei eng mit der der freien Gewerkschaften verknüpft. So auch in Dachau: Vier Männer, Anton Eisenberger, Hans Götz, Michael Moosreiner und Lorenz Wassermann, die aus den schon bestehenden Arbeitervereinen kamen, bildeten einen Arbeitsausschuss. Ziel war die Gründung eines selbständigen Ortsvereins in Dachau, dessen Gebiet bis dahin von Lechhausen aus mitverwaltet worden war.

Am 10. Mai 1906 wurde dann die „Ortsgruppe Dachau“ beschlossen. Der Eintrag ins Vereinsregister wird als offizielles Gründungsdatum angesehen. Damals war die Gründung einer Arbeiterpartei in einem noch ländlichen und kleinbürgerlichen Marktflecken ein mutiger Entschluß. Aber bereits nach einigen Jahren war der Verein auf 53 Mitglieder angewachsen und bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges konnten schon 110 Mitglieder verzeichnet werden. Dieser Zuwachs kam vor allem aus den damaligen Gewerkschaftsverbänden, aber auch die Gründung des Radfahrvereins „Solidarität“ (existiert heute noch) und des Arbeiter-Sport-Vereins (heute ASV: Allgemeiner Sport Verein) brachte neue Mitglieder.

Neben politischen Veranstaltungen war auch die Fortbildung der Arbeiter*innen eine Angelegenheit der Genoss*innen, wie der Vorstandsposten eines „Bibliothekars“ erkennen läßt. Wichtigstes Ziel jedoch war die Berücksichtigung der Interessen der Arbeiterschaft in der Gemeindepolitik. Im Kaiserreich waren vor dem Einzug in den Gemeinderat große Hindernisse zu überwinden; gewählt werden konnte nur derjenige, der das Bürgerrecht besaß, welches zu dieser Zeit noch 70 bis 80 Reichsmark kostete. Mit viel Idealismus sammelten die Dachauer Genoss*innen diese Summe und konnten somit Hans Götz als erstes SPD-Mitglied in den Dachauer Gemeinderat entsenden.

Der erste Weltkrieg riss durch das Einziehen zum Kriegsdienst große Lücken in den Ortsverein, doch ein kleiner Teil von Genoss*innen hielt das Parteileben aufrecht. 1917 war die Zahl der Mitglieder bereits auf 140 gestiegen. Nach dem Kriegsende 1918 und der Abdankung der Monarchen in Berlin und München gewann die SPD sowohl im Reich als auch in den Gemeinden und Landkreisen zusehends an politischem Einfluß. Auch in Dachau war die Arbeiterbewegung in drei Parteien zerfallen: SPD, USPD und KPD.

Es ist leider nicht mehr bekannt, wie der Dachauer Ortsverein sich zu den Ereignissen in München stellte. Dort trieb die Revolution weiter und die Räterepublik nach sowjetischem Vorbild wurde ausgerufen. Von Freikorps, den sogenannten Weißgardisten, wurde dieser Republik ein blutiges Ende gesetzt. Durch die Schließung der Pulver und Munitionsfabrik Dachau nach dem Ersten Weltkrieg wurden 8000 Menschen arbeitslos. In Dachau herrschte deshalb eine extreme wirtschaftliche Notlage, die sich während der ganzen Weimarer Republik nicht besserte. Im Jahre 1928 richtete der damalige 1. Bürgermeister Seufert (hauptamtliches Stadtoberhaupt von 1925 bis 1934) an das bayerische Innenministerium eine Denkschrift mit dem Titel „Die Dachauer Not“: „…von 7100 Einwohnern beziehen 20% Unterstützung. Ein Drittel der Haushaltsmittel der Marktgemeinde werden für soziale Fürsorge ausgegeben…“. Nicht nur damit mussten sich die Genoss*innen auf ihren Parteiversammlungen befassen, sondern auch zu den entscheidenden Fragen der Reichspolitik wurde Stellung bezogen.

Beim Blättern im Protokollbuch des Ortsvereins kann man heute noch die Behandlung der Inflationsfrage, das Volksbegehren zur Fürstenenteignung, die Haltung der SPD zur Regierung Brüning, Aufrufe zur Unterstützung bedürftiger, erwerbsloser Genossen u. a. nachlesen. Aber auch das kulturelle Leben lassen sich die Dachauer Genoss*innen angelegen sein. Neben den schon erwähnten Sportvereinen trägt z. B. der Arbeiter Gesangs Verein zum 20jährigen Gründungsfest des Ortsvereins bei. Die Bibliothek wird erweitert und der Allgemeinheit zugänglich gemacht. Die SPD bleibt auch stärkste Kraft im Dachauer Gemeinderat.

Bei den letzten freien Gemeindewahlen vom 7. Dezember 1929 erhält sie acht, die Bayr. Volkspartei sechs und die Wählergemeinschaft Gemeinwohl ebenfalls sechs Sitze. Franz Xaver Böck sen. wird zum ehrenamtlichen 2. Bürgermeister gewählt. Doch die politischen Aussichten verdüstern sich.

In Berlin zerbricht die letzte demokratische Regierung unter dem SPD-Kanzler Müller. Sie scheitert an der Frage, ob der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung um drei oder vier Prozent erhöht werden soll. Die Weltwirtschaftskrise nach dem New Yorker Börsenkrach hat auch Deutschland voll erreicht. Damit geht die stabile Phase der Weimarer Republik zu Ende. In Berlin regierten nur noch Kabinette ohne parlamentarische Mehrheiten. Zunächst wurde der Zentrumspolitiker Brüning Reichskanzler, dann Franz von Papen und schließlich General Schleicher. Brüning wurde trotz seines deflationären Kurses von der SPD im Reichstag unterstützt. Wie der Landtagsabgeordnete Roßhaupter den Dachauer Genoss*innen auf einer Quartalsversammlung erklärte, sei Brüning das kleinere Übel, „denn wenn die Hugenberg usw. ans Ruder kämen, hätte die Arbeiterschaft wirklich nichts Gutes zu erwarten“.

Auf der Generalversammlung am 17. Februar 1932 wurden die Mitglieder aufgefordert, dem Reichsbanner und der Eisernen Front beizutreten. Am 4. Juli 1932 wurde dann auch in Dachau die Eiserne Front als Kampfbund gegen den Faschismus gegründet. Bereits vorher, im Juni 1932 wird bei einer Mitgliederversammlung auf Antrag der KPD über die Bildung einer Einheitsfront verhandelt. Zwar zeigten die Genoss*innen „prinzipielles Einverständnis“, wollten aber erst nach Einholung der Richtlinien von höherer Parteistelle „antworten“. In diesen schwer bewegten Zeiten mußte die SPD sogar den amtierenden, monarchistischen Reichspräsidenten Hindenburg bei seiner Wiederwahl 1932 unterstützen.

Die Ergebnisse der Wahlen in den Jahren vor dem Dritten Reich zeigen, daß in Dachau nie eine Mehrheit von den Nazis zu erringen war. Doch nach der Machtergreifung vom 30. Januar 1933 wird auch der Dachauer Gemeinderat schnell gleichgeschaltet. Am 20. März 1933 wird dem Gemeinderat bekanntgegeben, daß Franz Xaver. Böck sen. die Ausübung seines Amtes als 2. Bürgermeister untersagt sei, da er Mitglied einer marxistischen Partei sei. Am selben Tag werden die Gemeinderäte Lerchenberger, Hardwig und Teufelhart (BVP), sowie Lobenstock und Hammer (SPD) abgesetzt. Wenige Tage später ergeht es den restlichen SPD-Ratsherren Ernst, Gampenrieder , Schauer, Schmid, Schütze und Weininger ebenso.

Die Nationalsozialisten verteilen die Sitze im Gemeinderat nach den Reichstagswahlen vom März 1933 neu. Dabei bleibt die inzwischen verbotene KPD unberücksichtigt. Ein sogenannter „Wahlausschuß“ legt für das Dachauer Stadtparlament fest: je fünf Sitze für NSDAP, BVP und SPD. Zum Teil können die Gemeinderatsmitglieder zurückkehren. Doch bereits am 22. Juni wird die SPD verboten. Auch das Protokollbuch des Dachauer Ortsvereins bricht am 4. Februar 1933 ab. Zu diesem Zeitpunkt zählte der Ortsverein 370 Mitglieder. Im Sommer 1933 war in Dachau die Gleichschaltung abgeschlossen. Vom Stadtrat werden Hitler und Hindenburg zu Ehrenbürgern ernannt. Die Hermann-Stockmann-Straße heißt Hindenburg-Straße, die heutige Frühlingstraße Adolf-Hitler Straße. Am 15. November 1933 wird der Markt Dachau zur Stadt erhoben.

Das Konzentrationslager Dachau

Doch Dachau erlangt durch die Nationalsozialisten traurige Berühmtheit. Das gesamte deutsche Reich wird von der SS nach politischen Gegner*innen durchkämmt. Die Gefängnisse quellen bald über. Man sucht nach anderen Unterbringungsmöglichkeiten für die „Schutzhäftlinge“. Himmler und Esser kannten die aufgelassene Pulver- und Munitionsfabrik, die damals auf dem Gemeindegebiet von Etzenhausen und Prittlbach lag. So wird in Dachau das erste reguläre Sonderlager für kommunistische Schutzhäftlinge eröffnet. Die ersten Häftlinge waren noch Angehörige der KPD, aber bereits ab Sommer 1933 teilten auch SPD-Genoss*innen deren Leidensweg. Während die anderen SPD-Gemeinderatsmitglieder im Gefängnis einsaßen, wurden Jakob Schmid, Franz Xaver Böck und Josef Straßer vier Monate in Schutzhaft genommen. Nach der Entlassung aus dem KZ Dachau wurde Jakob Schmid mit Arbeitsverbot belegt. Er konnte nur noch unangemeldet bei einem Bauunternehmer im Landkreis unterkommen. Das KZ Dachau war nicht nur das erste Konzentrationslager, es war auch das einzige „rote“ Lager (benannt nach den roten Winkeln, die von der SS zur Kennzeichnung der politischen Häftlinge ausgegeben wurden).

Im Lager Dachau war die Häftlingsselbstverwaltung während der gesamten zwölfjährigen Schreckensherrschaft in Händen der politischen Häftlinge. Es ist bewundernswert, was diese Männer aus allen politischen Richtungen von der KPD über die SPD bis zum Zentrum mit dem Motto „List gegen Gewalt“ für ihre Mithäftlinge geleistet haben. Eine Vielzahl bekannter SPD-Politiker saß in Dachau ein; der wohl bekannteste der Nachkriegsgeschichte, Kurt Schumacher, war acht Jahre lang in Dachau inhaftiert.

Die sudetendeutschen Sozialdemokrat*innen: Nach dem Münchner Abkommen und dem „Anschluss“ des Sudetengaues 1938, waren auch die dortigen Sozialdemokrat*innen den Verfolgungen der Nazis ausgesetzt. So wurden z. B. von 13 inhaftierten heimatvertriebenen Genossinnen und 82 Genossen, die nach 1945 dem Ortsverein Dachau angehörten, 39 im KZ Dachau inhaftiert. Ironie der Geschichte ist, daß diese Genoss*innen ein Jahr nach der Befreiung als Heimatvertriebene in das damalige Flüchtlingslager Dachau zurückkehrten.

Diese Genoss*innen seien dabei nur stellvertretend genannt für die vielen sudetendeutschen Sozialdemokrat*innen, die nach dem Zusammenbruch tatkräftig beim Wiederaufbau der SPD mithalfen: Albert Wendelin, Kreissl Richard, Reim Oskar, Enzmann Hermann, Kunzmann Otto, Riedl Eduard, Fritsch Ernst, Lippert Franz, Rudert Oskar, Fritsch Franz , Lippert Leopold, Schindier Josef, Fritschka Heinrich, Loos Wenzel, Schindler Richard, Gareis Josef, Maschek Anton, Schreiber Alfred, Glaser Karl, Mika Franz ,Seger Adolf, Grün Josef, Mörti Wenzel, Tippl Karl, Haidl Alfred, Mücksch August, Ullmann Alois, Hammerschmid Alois, Plodek Josef , Ulm Karl, Heinzi Anton, Pucher Adolf, Urban Ludwig, Ikes Paul, Rau Josef, de Witte Anton, Kohlstrom Josef, Recht Eduard, Worschischek Karl.

Während der NS-Herrschaft und des Parteiverbots war ein Parteileben natürlich nicht möglich. Nur einige wenige Dokumente aus der Weimarer Zeit konnten in einem Dachstuhl versteckt vom langjährigen Vorsitzenden Jakob Schmid über die NS-Zeit gerettet werden, so auch das alte Protokollbuch. Ganz ging der Kontakt unter den Genoss*innen aber nicht verloren. Nach Berichten von Rudi Schmid trafen sich im Hause seines Vaters und im Hinterzimmer des Birgmannbräus immer wieder die Genossen Georg Andorfer, Franz Xaver Böck jun., Ludwig Ernst, Stefan Stegmann und Josef Strasser sen. In diesem Kreis machte man sich auch Gedanken, was zu geschehen hätte, wenn die vorrückenden US-Truppen Dachau erreichen würden.

Jakob Schmid und Georg Andorfer versuchten aus dem früheren Reichsbanner Vertrauensleute zusammenzustellen, mit dem Ziel Dachau nicht zu verteidigen und die NS Leitung abzusetzen. Alles war vorbereitet, als sich am Vorabend des 28. April 1945 herausstellte, dass unter der Führung von Georg Scherer eine zweite Gruppe mit dem gleichen Ziel bestand. Zusammen mit einem Teil des in Dachau aufgestellten Volkssturmes begann am nächsten Tag der „Dachauer Aufstand“. Mit Hilfe der SS aus dem KZ wurde dieser jedoch schnell unterdrückt. Erst am nächsten Tag, dem 29. April, befreiten die Amerikaner die Stadt und das Lager vom „Tausendjährigen Reich“.

Der Kreis um Jakob Schmid war nach dem Zweiten Weltkrieg wesentlich beteiligt an der Erneuerung des SPD-Ortsvereins in Dachau. Nach dem totalen Zusammenbruch und der bedingungslosen Kapitulation waren vor allem die Amerikaner sehr daran interessiert, Deutsche an der Verwaltung der US-Zone zu beteiligen. Sie stützten sich dabei auf die unbelasteten Politiker, wie z.B. die Sozialdemokrat*innen. Auch die Zulassung politischer Parteien betrieben die US-Behörden sehr schnell. In Dachau konnte die Neugründung bereits am 5. September 1945 erfolgen. Jakob Schmid begrüßte auf dieser ersten Parteiversammlung 36 Genoss*innen.

Wiedererhebung des Ortsvereins durch die Militärregierung am 05.09.1945

Vor der Sozialdemokratie und der deutschen Bevölkerung lagen gewaltige Aufgaben. Es mangelte am Notwendigsten (Lebensmittel, Heizmaterial und Wohnungen). Der Strom der Flüchtlinge und Heimatvertriebenen bildete eine zusätzliche Belastung. Arbeit und Brot für diese vielen Menschen mußten beschafft werden. Die politische Zukunft des besiegten Deutschland lag völlig im Dunkeln. Die Militärbehörden der US-Zone strebten den schnellen Aufbau einer deutschen Verwaltung und die Errichtung demokratischer Institutionen an. Bereits am 27. Januar 1946 finden in Bayern die ersten freien Gemeinderatswahlen nach dem Kriege statt. Die SPD erhält von neunzehn Sitzen nur fünf, die KPD zwei, der Bayrische Volksbund (CSU) zwölf. Als erste SPD-Stadträte ziehen Jakob Schmid, Ludwig Ernst, Georg Salvermoser, Georg Andorfer und Josef Straßer in das Gremium ein. Ludwig Ernst wird 2. Bürgermeister.

Man versuchte überall einen Neuanfang. In ganz Deutschland waren sogenannte antifaschistische Ausschüsse entstanden, in denen vor allem KPD und SPD Mitglieder zusammenarbeiteten; die jahrzehntelange Spaltung der Arbeiterbewegung sollte überwunden werden. Doch auch in Dachau lehnte die SPD-Mitgliederversammlung am 29. April 1946 mit großer Mehrheit die Verschmelzung mit der KPD ab. Die in der sowjetisch-besetzten Zone erfolgte Zwangsvereinigung zur SED und der beginnende „kalte Krieg“ erforderten andere Strukturen. Die SPD begann sich zu wandeln: von der Arbeiterpartei zur Volkspartei. Bereits zum 50jährigen Gründungsfest konnte mit Stolz die Erfüllung dieser Forderung Kurt Schumachers vermerkt werden. Diesen Weg zur Volkspartei sind die SPD und der Ortsverein Dachau dann auch bis heute weitergegangen.

In der Zeit nach dem Kriege standen aber zunächst andere Probleme im Vordergrund. Die Partei und die befreundeten Organisationen mussten erst wieder aufgebaut werden. Bereits 1946 wurde ein Jugendausschuss gegründet, der Vorläufer der Jungsozialist*innen; sehr schnell können 30 Mitglieder dafür gewonnen werden. Im selben Jahr beginnt mit Unterstützung der Dachauer Genoss*innen die Arbeiterwohlfahrt wieder ihre soziale Tätigkeit. Auch eine Falkengruppe mit 67 Kindern und eine Frauengruppe werden 1947 ins Leben gerufen. Schwierig gestaltet sich die Besetzung des 1. Vorsitzenden des Ortsvereins. Zunächst erhielt Jakob Schmid das gleiche Vertrauen wie vor dem Krieg und wurde erneut Parteivorsitzender. 1947 trat er zurück, weil der Aufbau einer Gewerkschaftsgruppe ihn voll in Anspruch nahm.

Der Vorsitz wechselte nun jährlich. 1952 übernahm Jakob Schmid das Amt nochmals für drei Jahre, um es dann 1955 an seinen Sohn Rudi Schmid weitergeben zu können. In diesen Jahren wuchs die Mitgliederzahl ständig: 1947 waren es 274 Personen, 1951 bereits 370 und 1956 konnten 501 Mitglieder verzeichnet werden. Großen Anteil an diesem sprunghaften Mitgliederzuwachs hatte die Eingliederung der vertriebenen sudetendeutschen Sozialdemokrat*innen, die im „Lager“ Dachau-Ost Aufnahme gefunden hatten. Das war gar keine so leichte Aufgabe, denn wie überall in Deutschland bestanden anfangs Schwierigkeiten zwischen Alteingesessenen und Flüchtlingen. Die Zwangseinquartierungen und der Lastenausgleich führten zu Unmut in der westdeutschen Bevölkerung. Auch die Dachauer SPD mußte bei der Integration der Sudetendeutschen einige Rückschläge einstecken. Obwohl die SPD Anfang 1946 in dem 2.000 Einwohner*innen zählenden Dachau-Ost eine öffentliche Versammlung abhält, gründet sich dort erst Ende 1949 eine eigene Ortsgruppe mit 47 Mitgliedern.

Es gab aber auch positive Beispiele. Hier sei Josef Gareis erwähnt: er zog 1948 in den Stadtrat ein und war von 1950 bis zu seinem Ausscheiden 1972 Fraktionsvorsitzender. Außerdem vertrat er die SPD von 1953 bis 1962 im Bayerischen Landtag. Doch trotz anfänglicher Mißerfolge ist die Integration der Vertriebenen gelungen. Ihren organisatorischen Abschluss fand sie im Mai 1956, als der Ortsverein Ost eingegliedert wurde. Ein Jahr vorher hatte sich als Vertretung der sudetendeutschen Sozialdemokrat*innen auch in Dachau die Seligergemeinde gebildet. Viele „Neu-Dachauer*innen“ halfen dann erfolgreich beim Wiederaufbau mit: so z. B. Heinrich Fritschka, Inge Weigert und viele andere.

Der Zustrom von Flüchtlingen und der alliierte Luftkrieg hatten vor allem ein Problem in den Vordergrund geschoben: Den Wohnungsbau. Dieser Tagesordnungspunkt erscheint auf fast allen Mitgliederversammlungen seit 1946. Viele der damals von der SPD beantragten Initiativen haben bis heute Bestand. Da der Staat aber keine finanziellen Mittel zur Verfügung stellt, wird 1961 auf Initiative des Bürgermeisters Franz Xaver Böck jun. die Städtische Wohnungsbaugesellschaft (bekannt bis heute als die Stadtbau GmbH Dachau) gegründet. Zwei Gesellschafter waren dazu notwendig: Die Stadt Dachau und Rudi Schmid. Von 1948 bis 1960 war Franz Xaver Böck bereits 2. Bürgermeister gewesen. In der Stadtratsfraktion saßen neben ihm Angela Vogelmeir, Georg Andorfer, Josef Dürr, Georg Durchdenwald, Ludwig Ernst und Josef Strasser um nur einige bekannte zu nennen. 1960 zieht auch der DGB-Sekretär Gabriel Schaller für die SPD in den Stadtrat ein. Bereits seit 1955 gehörte er dem Bezirkstag an und ab 1963 (bis 1974) vertritt er Dachau im Landtag als Nachfolger von Josef Gareis. Doch nicht nur mit kommunalpolitischen Themen beschäftigen sich die Mitgliederversammlungen.

Die Probleme der jungen Republik stehen ebenso auf der Tagesordnung. Man bezieht Stellung zu den Verträgen der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft und zur Wiederbewaffnung, unterstützt den Metallarbeiterstreik, beteiligt sich an der Initiative „Ächtet Atomwaffen“ und organisiert mit beim Volksbegehren zur Gemeinschaftsschule.

https://dahsozi.spd-dachau.de/images/user_pages/Fahne_50.JPG
Fahne zum 50.

Eine ganze Reihe Großveranstaltungen wird in diesen Jahren durchgeführt und prominente SPD-Politiker aus ganz Deutschland können in großer Anzahl in Dachau begrüßt werden. Beim Arbeiterfest mit Fahnenweihe (1953) spricht Waldemar von Knoeringen. Die Festrede anläßlich des 50jährigen Gründungsfestes hält der bayrische SPD-Ministerpräsident Hoegner. Der Parteivorsitzende Erich Ollenhauer spricht in Dachau ebenso wie sein späterer Nachfolger Willi Brandt. Mit einem umfangreichen Wahlprogramm geht die SPD in die Kommunalwahlen 1966: Schulprobleme (z. B. Schulhauserweiterung Dachau-Ost), Wohnungsbau, Kanal, Wasser, Ausbau der Elektrizitäts- und Trinkwasserversorgung, Kulturhalle, Hallenbad und Jugendfreizeitheim. Interessant ist dabei die gegenüber früher veränderte Reihenfolge; der Wohnungsbau steht mittlerweile nur noch an zweiter Stelle. Es dauert jedoch sehr lange, bis diese Forderungen realisiert werden – man denke nur an das Jugendheim.

Der Wahlausgang wurde aber zur Enttäuschung. Franz Xaver Böck jun. verliert sein Bürgermeisteramt. Immerhin bleibt die SPD stärkste Partei (16 Sitze bei 50,9 % der Stimmen). Lothar Micheler wird zum 2. Bürgermeister gewählt. Erfolg und Mißerfolg stehen in diesen Jahren dicht beieinander, denn nur 8 Monate später bei den Landtags- und Bezirkstagswahlen ziehen Gabriel Schaller als Abgeordneter erneut in das Maximilianeum und Kurt de Witte in den Bezirkstag ein. Man versucht, den Ortsverein zu verjüngen. Die Jungsozialist*innen werden 1969, nach ihrer Auflösung 1958, neu gegründet. Es gelingt aber nicht mehr, die Falken wieder ins Leben zu rufen. Auch die organisatorische Infrastruktur wird durch die 1967 erfolgte Gründung eines Unterbezirkes verbessert. Dabei tauchen neue Namen auf, die die Geschichte der Dachauer SPD bis in unsere Zeit mit beeinflussen: Rosa Rühl, Dr. Edgar Forster, Bernd Sondermann, und Dr. Wolfgang Spreitler.

Doch scheint der Zenit überschritten zu sein: Von 637 Mitgliedern im April 1966 sinkt der Stand auf 528 Genoss*innen im Januar 1976. Dabei verliert der Ortsverein durch Todesfälle eine Reihe von verdienten Mitgliedern. Im Jahre 1968 stirbt SPD-Stadtrat Georg Andorfer bei einem tragischen Verkehrsunfall. Der jahrelange Volksfestreferent war seit den ersten Stadtratswahlen 1946 Angehöriger dieses Gremiums gewesen. Bei den nächsten Stadtratswahlen 1972 erhofft sich die SPD die Rückeroberung des Bürgermeisteramtes. Die Aussichten scheinen günstig zu sein. Seit 1969 regiert in Bonn die sozial-liberale Koalition. 1970 bei seinem bereits dritten Besuch in Dachau konnte Willy Brandt als Bundeskanzler auftreten. Die SPD befindet sich mit ihren Erfolgen in der Ostpolitik im Aufwind.

Doch in Dachau will man sich nicht nur allein darauf verlassen. Lothar Micheler wird zum Bürgermeisterkandidaten gewählt. Man verhandelt mit der ÜB (Überparteiliche Bürgervereinigung) wegen Wahlunterstützung, doch diese winkt ab. Die Rückeroberung der Mehrheit im Kommunalparlament gelingt nicht. Die jetzige Stadtratsmehrheit gesteht der SPD-Fraktion nicht einmal mehr den Posten des 2. Bürgermeisters zu, für den sich Lothar Micheler wieder zur Verfügung gestellt hatte. Auch an der Spitze der Stadtratsfraktion gibt es eine Veränderung: Nach dem altersmäßigen Rücktritt von Sepp Gareis übernimmt Wolfgang Spreitler die Führung der SPD-Stadträte. Dabei wird die SPD in diesem Gremium in die Opposition gedrängt. Um dem entgegenzusteuern und die Basis zu aktivieren, wird ein schon etwas älterer Gedanke aufgegriffen: die Gründung von Sektionen: zunächst 1974 die Sektion Ost.

Neben der Mitgliederbetreuung hielt ein politisches Thema die Genoss*innen der Sektion Ost für die nächsten Jahre in Atem: Die Freihaltung des Ernst-Reuter-Platzes. Mit Unterschriftensammlungen und Veranstaltungen versuchen die Genoss*innen, die Bebauung des „letzten freien Stückes“ in Dachau-Ost zu verhindern. Mittlerweile ist er zwar bebaut, aber mit erheblich weniger Gebäuden als ursprünglich vorgesehen. Die Kommunalwahlen 1978 brachten wieder nicht den erhofften Durchbruch. Wolfgang Spreitler setzte seine politische Karriere in Augsburg fort, so daß Bernd Sondermann zum neuen Fraktionsvorsitzenden bestellt wurde. Trotz der Wahlniederlage ist der Ortsverein auch weiterhin „vor Ort” aktiv. 1978 wird in Dachau-Süd/West eine Sektion gegründet. Seit 1977 wird alljährlich die Aktion Kleidertausch durchgeführt. 1979 werden die Jungsozialist*innen neu belebt.

Als im Jahr 1980 ein Erdbeben Italien heimsucht, beteiligt sich der Ortsverein durch Hilfssendungen aktiv an der Unterstützung der Opfer. Die Jungsozialist*innen initiieren in Zusammenarbeit mit anderen Organisationen jährlich eine „Woche der Jugend“. Im Jahr 1983 wird das europaweit alljährlich stattfindende Pfingst-Jugend-Camp der Jungsozialist*innen in Dachau abgehalten. 1986, im 80. Gründungsjahr der SPD Dachau wird der 463 Mitglieder zählende Ortsverein von Rudi Schmid geführt. Die 14 Mitglieder der SPD Stadtratsfraktion werden von Bernd Sondermann als Fraktionsvorsitzender geleitet. Rudi Schmid stand mehr als 30 Jahre an der Spitze des Ortsvereins.

https://dahsozi.spd-dachau.de/images/user_pages/Nachruf_Rudi_Schmid.JPG
Nachruf für Rudi Schmid

Mit umfangreichen Aktivitäten trugen der Ortsverein und seine Organisationen auch in den Jahren bis 1986 zum politischen Leben in der Stadt Dachau bei. Daneben wurden die Mitgliederversammlungen immer wieder von bundes- und kommunalpolitischen Themen beherrscht: Das Spektrum reicht vom Umweltschutz (der übrigens 1962 zum erstenmal in einem Dachauer Wahlkampfprogramm auftaucht) über Kernenergie bis zu Altstadtsanierung und Parkgarage. Diese rege politische Tätigkeit sollte auch in Zukunft erhalten bleiben, denn der Chronist hofft, beim 100jährigen Jubiläum des Ortsvereins Dachau diese Chronik aus der Sicht des 20 Jahre Älteren fortsetzen zu können.

Text: Volker C. Koch, Sybille Weigert: 80 Jahre SPD Dachau. Dachau, o.J.

Nach oben scrollen
Scroll to Top